Interview mit Literaturwissenschaftler
An der Technischen Universität Berlin forschen Ingenieure, Maschinenbauer und Physiker im Rahmen von WindNODE an technischen Lösungen für das Stromnetz der Zukunft. Sie analysieren das Thema Energiewende in Literatur und Kunst. Einigen Naturwissenschaftlern gilt Ihre Forschung als besonders. Das wurde bei der SINTEG-Konferenz deutlich, wo das Wort „exotisch“ fiel.
Uhlig: Nach einer kurzen Phase des Kennenlernens, sobald man ins Gespräch kommt, fällt der Exotenstatus. Ich habe festgestellt, dass viele Ingenieure zunehmend realisieren, dass Partizipation und Akzeptanz für den Erfolg ihrer Projekte essentiell sind. Insofern steht die kulturelle Reflektion der Energiewende momentan ganz oben auf der Tagesordnung. Deswegen leistet sich WindNODE ja einen „Exoten“ wie mich – weil man erkannt hat, dass ein so komplexes Phänomen wie die Energiewende nur über disziplinäre Grenzen hinweg verstanden und gesteuert werden kann.
Stichwort interdisziplinäre Zusammenarbeit: In Ihren e-storys stellen Sie Oskar von Miller vor, einen erfolgreichen Ingenieur für Kraftwerks- und Elektrifizierungsprojekte, dem bewusst war, wie wichtig die gesellschaftliche Reflektion und Vermittlung von Technik war und deshalb 1925 das Deutsche Museum in München gründete – sozusagen ein Best-Practice-Beispiel des Über-den-Tellerrand-Blickers. Seine Ideen könnten unsere Gegenwart inspirieren, schreiben Sie. De facto verharren wir 100 Jahre später aber immer noch viel zu oft im Klein-Klein unseres Fachbereichs und kooperieren zu wenig. Warum tun wir uns so schwer, die Energiewende disziplinübergreifend voranzubringen?
Zunächst zeigen Beispiele aus dem akademischen Bereich wie WindNODE, dass wir uns auf den Weg machen. Die Aufgabe besteht wirklich darin, sich dem komplizierten Phänomen Energiewende aufgeschlossen und offen zu stellen, damit wir es weiterentwickeln können. Das gilt auch für den nicht-akademischen Sektor. Hier sieht man, dass finanzielle Mittel nicht per se die Akzeptanz fördern, nur weil sie zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sind viele Hürden, zum Beispiel des Mittelabrufs, noch nicht ausreichend beschrieben. Da wären Vermittlungsinstanzen gefragt, etwa für Bürgermeister oder Gemeinderäte, die diese Mittel nutzen möchten.
Darüber hinaus brauchen wir einerseits mehr Inspirationsquellen ähnlich Oskar von Miller, die technische Entwicklungen auch als kulturelle begreifen. Und andererseits mehr zivilgesellschaftliches Engagement. Nehmen Sie zum Beispiel die Lausitz, da impliziert der Strukturwandel eine Identitätsfrage für die ganze Region. Die zu klären, daran arbeiten wir bei WindNODE auch, indem wir ein neues positives Energiewende-Narrativ mitprägen wollen.
Neues schaffen gelingt besser, wenn man sich mit dem Alten auseinandergesetzt hat. Das tun Sie, indem Sie einen Blick auf Erzählungen über Energie und Elektrizität in der Literatur werfen und behaupten: „Die Tatsache, dass es wenige Dinge gibt, die uns alltäglicher und vertrauter sind als der elektrische Strom kann eigentlich nur heißen, dass man an ihm noch eine Menge entdecken kann – insofern er nicht nur aus der Steckdose, sondern auch aus Zeilen fließt.“ Welche Entdeckung an Strom, der aus Zeilen fließt, ist für Sie die spannendste? Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht?
Die Gegenwartsliteratur blickt auf das Thema aus der Perspektive von Dörfern in ländlichen, strukturschwachen Regionen. Die Geschichten zeigen, dass das Abhängen von Regionen, die von der Daseinsvorsorge abgekoppelt sind und nur noch als dezentrale Stromlieferanten dienen, fatal ist in Bezug auf den sozialen Zusammenhalt und dass die Energiewende dort auf wenig Akzeptanz trifft. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land und eine funktionierende Gemeinschaft sind dafür nötig – das zeigen die literarischen Texte.
Erstaunlich finde ich – als historisches Beispiel – auch die demokratisierenden Eigenschaften der Elektrizität als DER Innovation des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Während die aus Kohle erzeugte Dampfkraft nur an Ort und Stelle, im Produktionsraum der Maschinen, genutzt werden konnte und die Luft verschmutzt, hatte man mit dem elektrischen Strom, den man durch Kabel leiten und so verbreiten konnte, jetzt eine sauberere Alternative. Das ermöglichte auch auf gesellschaftlicher Ebene sogenannten Fortschritt: Mit Dampfkraft betriebene industrielle Produktionsstätten befanden sich im Besitz Weniger; elektrischer Strom ließ sich dagegen nun in die breite Fläche tragen. So konnten kleine Handwerksstätten mit Energie versorgt werden; das verbesserte ihren Stand in der Konkurrenz zu den großen Fabriken der Zeit.
Der Fortschrittsgedanke gilt bis heute und ist eng mit dem Glauben an ewiges ökonomisches Wachstum verknüpft. Heute wird dieser vor allem von den jugendlichen Fridays-for-Future-Aktivisten, die sich mit ihren Protesten für mehr Klimaschutz weltweit Gehör verschafft haben, stark kritisiert. Der Ansatz ist aber schon viel älter und geht auf die Studie Die Grenzen des Wachstums zurück, die Anfang der 1970er Jahre vom Club of Rome veröffentlicht wurde. Darin empfehlen die Autoren, aufgrund der endlichen Ressourcen unseres Planeten ein ökologisches und wirtschaftliches Gleichgewicht anzustreben, um das Überleben der Menschheit zu sichern.
Obwohl wir also schon 50 Jahre wissen, dass wir umsteuern müssten für mehr Klimaschutz und Energiewende, geht es damit nur schleppend voran. Reicht unsere Vorstellungskraft vielleicht einfach nicht, um den Fortschrittsgedanken durch ein nachhaltigeres und gleichzeitig positives Narrativ zu ersetzen? Ist der Mensch geistig womöglich gar nicht in der Lage, nicht nach stetigem Fortschritt zu streben?
Schwierige Frage. Ich habe schon den Eindruck, dass Symbole eines expansiven Lebensstils, wie zum Beispiel SUVs, zunehmend kritisch gesehen werden. Viele Menschen sehen so ein Auto nicht als Fortschritt, sondern schlicht als Fehler. Dadurch verlieren die Fahrzeuge vielleicht an Attraktivität und an Bedeutung. Ich persönlich bin auch ein großer Fan der Bahn. Das ist doch großartig, dass ich stressfrei zwischen deutschen Städten hin- und herfahren kann und dabei noch etwas Sinnvolles tun kann. Ich nehme den Zug längst als Arbeitsraum wahr. An der Ingenieursleistung, die dahintersteckt, kann ich mich tatsächlich erfreuen.
Auch die Kunst zeigt uns an vielen Stellen, dass weniger mehr ist und dass mehr Effizienz und Suffizienz möglich sind, ohne Abstriche bei der Ästhetik zu machen. Im Gegenteil: Man kann zum Beispiel ästhetische Strömungen entdecken, die mit Wiederverwertungskreisläufen arbeiten, also Re- und Upcycling betreiben. Während uns die Warenästhetik auffordert, immer neue Dinge zu kaufen, setzen sich viele Künstler schon mit der Begrenztheit der Dinge auseinander. Mir fällt hier zum Beispiel das britische Künstler- und Architektenkollektiv Assemble ein, das in Liverpool zusammen mit den Bewohnern eines strukturschwachen Arbeiterviertels deren persönliches Lebensumfeld mithilfe von Verschönerungs- und Renovierungsmaßnahmen aufgewertet hat. Im Zentrum standen nachhaltige Gesichtspunkte und soziale Fragen, wie nach der Vereinbarkeit von modernem, gemeinschaftlichem Wohnen und gleichzeitig kostengünstigem Bauen in einer wirtschaftlich schwachen Gegend.
Die Art und Weise wie wir mit unserer Umwelt umgehen, wie wir Energie nutzen, beeinflusst also unsere Kunst und Kultur. Um den tradierten Glauben an linearen Fortschritt anzupassen, müssen wir vor allem im Kopf umparken. Denn die technischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, um den Wandel zu bewältigen, sind hinlänglich bekannt. Welche ist aus Ihrer Sicht die größte kulturelle Herausforderung, vor die uns die Energiewende aktuell stellt?
Die Probleme, die die Energiewende gesellschaftlich momentan hat, entstehen meiner Meinung nach daraus, dass es eine gewisse Bereitstellungsmentalität gibt. Danach werden technische Entwicklungen gebaut, dann bereitgestellt und vergütet. Der Strom kommt völlig selbstverständlich und zu einem bestimmten Preis aus der Steckdose – um nochmals dieses Bild aufzugreifen.
Die technischen Faktoren sind für den Erfolg der Energiewende natürlich wesentlich, aber wir müssen die Erneuerbaren Energien in unser Leben aufnehmen, weil wir es gern tun und den Wert einer dekarbonisierten Energieversorgung erkannt haben. Wenn wir uns nicht einigen und die Chancen der neuen Technologien nicht sehen, dann besteht die Gefahr, dass die Energiewende zum Zankapfel wird und uns – düster gesprochen – kulturell spaltet. Wir sollten deshalb versuchen, die gesamte Gesellschaft von der Notwendigkeit der Energiewende nicht nur zu überzeugen, sondern wir sollten vor allem dafür sorgen, dass sie von weiten Teilen getragen und aktiv mitgestaltet wird.
erschienen auf der Website des BMWi-Förderprogramms SINTEG