Interview mit Stadtplanerin
Neue-Bahnstadt-Chefin Rottes: „Natürlich ist es aufwändig, den Dialog zu suchen“
Im März 2018 besteht die neue bahnstadt opladen GmbH (nbso) seit genau zehn Jahren. Als 100-prozentige Tochterfirma der Stadt Leverkusen ist das Unternehmen dafür zuständig, die nach der Stilllegung des Bundesbahn-Ausbesserungswerks Opladen entstandene Brachfläche zu einem neuen Stadtquartier zu entwickeln. Im Gespräch erzählt Geschäftsführerin Vera Rottes, wie die Neue Bahnstadt Opladen klimafreundlich wurde und warum ein intensiver Bürgerdialog wichtig ist.
Vera Rottes, Jahrgang 1955, studierte Raumplanung in Dortmund und besitzt viele Jahre Erfahrung in der Stadtplanung. Bevor die Diplom-Ingenieurin Geschäftsführerin der nbso wurde, arbeitete sie in gleicher Funktion für die „Sanierungsgesellschaft Südliche Innenstadt Solingen“. Rottes lebt in Köln.
Frau Rottes, seit 2008 ist auf dem Gelände viel passiert. Alte Fabrikhallen wurden abgerissen, Altlasten saniert, neue Wohn- und Gewerbegebiete geschaffen. Für ihre zahlreichen Maßnahmen zum Klimaschutz, wie energieeffiziente Passivhäuser und das erste Nahwärmesystem in einem Leverkusener Wohngebiet, wurde die nbso mehrfach ausgezeichnet. Wie kam es dazu?
Wir hatten von Anfang an das Ziel, das Gelände nachhaltig und ökologisch umzugestalten. Damit sind wir den Wünschen der Bürger gefolgt. Sie müssen sich vorstellen, dass dieses 72 Hektar große Areal seit 1903 100 Jahre eingezäunt, eingemauert und von der Öffentlichkeit abgeschnitten war. Als die Bahn das Gebiet aufgab, wollten die alteingesessenen Nachbarn und die neuen Bewohner, dass es geöffnet wird, damit sie auch etwas davon haben, etwa von neuen Grünflächen und Spielplätzen. Niemand wollte ein kompaktes Neubaugebiet vor die Nase gesetzt bekommen.
Welche Maßnahmen haben Sie deshalb konkret umgesetzt?
Viele verschiedene, die sich drei Bereichen zuordnen lassen. Erstens haben wir das Areal, das als Bahnausbesserungswerk stark bebaut war, zu großen Teilen entsiegelt und mit dem so genannten grünen Kreuz eine sieben Hektar große Grün- und Spielfläche geschaffen. Durch die Nord-Süd- und West-Ost-Ausrichtung kühlt sie als natürliche Frischluftschneise die Luft und dient als Versickerungsfläche vor Starkregen. Zweitens war uns wichtig, ein Stadtviertel der kurzen Wege zu werden. Die Bürger haben eine Anbindung an Bus und Bahn aktiv eingefordert, denn viele Zugezogene pendeln nach Köln oder Wuppertal zur Arbeit. Die neuen Brücken über die Gleise haben wir bewusst nicht als Autobrücken konzipiert, sondern nur für Fußgänger und Radfahrer. Drittens gehen wir in puncto Energie voran: Erstmalig für ein Leverkusener Wohngebiet haben wir mit der Energieversorgung Leverkusen (EVL) systematisch ein Nahwärmesystem mit zwei Blockheizkraftwerken geplant, das anschließend städtebaulich in der Bauleitplanung berücksichtigt wurde. Außerdem wurden das Studierendenwohnheim der Technischen Hochschule (TH) Köln und die Nutzergenossenschaft nbso als energieeffiziente Passivhäuser errichtet.
Warum genau diese beiden?
Beim Wohnheim war klar, dass Studenten eine feste Warmmiete zahlen – egal wie viel Energie sie verbrauchen. Das Studierendenwerk wollte daher mit einem Pilotprojekt schauen, wie man die Energiekosten mithilfe eines passiven Gebäudes reduzieren kann. Zum Gesamtkonzept gehört zum Beispiel der Anschluss an eines der beiden Blockheizkraftwerke und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die Genossenschaft hat zwar jede Wohnung nach individuellen Bedürfnissen geplant. Gemeinsam hatten die 55 Mitglieder aber das Ziel, ein generationenübergreifendes, sozial orientiertes Wohnen mit geringen Energiekosten zu schaffen.
Diese beiden Siedlungen wurden extra ausgezeichnet, nämlich mit der Zertifizierung als Klimaschutzsiedlung. Inwiefern geht der Effekt über reine Imagepflege hinaus? Hilft Ihnen die Zertifizierung zum Beispiel bei der Vermarktung der Grundstücke?
Natürlich sind die Auszeichnungen ein wichtiges Zeichen und verbessern das Ansehen des Projekts. Ganz konkret haben sie aber auch dazu geführt, dass sich mehr Beteiligte mit einer nachhaltigen Energieversorgung auseinandergesetzt haben, etwa beim Bau von neuen Firmengebäuden im Gewerbegebiet. Als Beispiel fällt mir die via traffic controlling GmbH ein, die auf nachhaltige Gebäudetechnik gesetzt hat mit dem Ziel, keine Emissionen zu erzeugen. Das geht unter anderem mit Sonnenenergie und einer Wärmerückgewinnung von bis zu 85 Prozent. Ein weiterer praktischer Nutzen der Auszeichnungen ist natürlich, dass die zertifizierten Klimaschutzsiedlungen vom Land NRW finanziell gefördert werden.
Nicht nur das Studierendenwohnheim und die genossenschaftliche Siedlung fallen durch ihre kompakte, kubische Bauweise auf. Auch die anderen Wohngebäude auf dem Gelände fügen sich in ein einheitliches optisches Gesamtkonzept.
Das stimmt. Wir haben uns genau überlegt, wie die Wohngebiete aussehen sollten, um die Wünsche und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen. Unsere Vorstellungen haben wir in einem Qualitätshandbuch gebündelt, das vom Aufsichtsrat der nbso entschieden und per Ratsbeschluss festgelegt wurde. Die Gestaltungsvorgaben haben wir dann den Bauherren gezeigt und die Grundstücke anhand der Qualität der eingereichten Konzepte vergeben. Zum Beispiel muss jede Wohnbau-Fassade einen mindestens 20-prozentigen Anteil an Backstein aufweisen. Mit diesem „typisch historischen“ Baumaterial erinnern wir an die ehemalige Nutzung des Geländes. Außerdem hat jedes Familienwohnhaus einen grünen Vorgarten, der mit einem Baum bepflanzt ist; nur einen Garagenstellplatz und in den Vorgärten dürfen keine Autos abgestellt werden. Das Stellplatzangebot für Besucher in den Wohnstraßen ist ebenfalls sehr begrenzt.
Stattdessen möchten Sie die E-Mobilität fördern. Was genau haben Sie vor?
Das Mobilitätskonzept wird noch erarbeitet. Klar ist aber schon, dass es an drei Parkplätzen am Brückenpark, am Henkelmännchen-Platz und am Magazin E-Autos samt Ladestationen geben wird, die mit Carsharing genutzt werden können. Darüber hinaus plant die Stadt Leverkusen gerade ein Konzept für das gemeinschaftliche Nutzen von E-Bikes.
Welche Maßnahmen sollen neben dem Mobilitätskonzept 2018 umgesetzt werden?
Wir haben viel zu tun. Zum Beispiel wollen wir auf der fast fertigen Ostseite dieses Jahr den Rohbau der TH Köln am Campus Leverkusen fertigstellen und wir bebauen die zwölf Hektar umfassende, kleinere Westseite des Geländes. Gerade sind wir dabei, mit den Wohnungsunternehmen verschiedene Entwürfe für die Fassaden- und Dachbegrünung zu diskutieren. Für den Bebauungsplan gab es übrigens nur drei Anregungen vonseiten der Bürger, weil wir im Vorfeld so viele Fragen geklärt und den Plan mit den Bürgern gründlich besprochen hatten. Ein Wunsch der Anwohner war, lieber einen großen zentralen Platz als Verlängerung des grünen Kreuzes nach Westen zu haben statt eine längsgestreckte Grünfläche von Nord nach Süd. Also haben wir die Planung dementsprechend geändert.
Den Bürgerdialog hat die nbso von Anfang an mithilfe verschiedener Formate intensiv gepflegt. So gab es beispielsweise eine Perspektivenwerkstatt mit 650 Teilnehmern. In der Bahnstadt-Info findet wöchentlich eine Sprechstunde statt, einmal im Monat wird die aktuelle Entwicklung im Rahmen einer Veranstaltung und bei einer Führung über das Gelände vorgestellt.
Und wir sind jederzeit erreichbar, per E-Mail oder telefonisch. Uns war eine direkte Ansprache und ein professionelles Anregungs- und Beschwerdemanagement sehr wichtig.
Viele Kommunen tun sich mit Bürgerbeteiligungsverfahren schwer und stoßen, etwa bei umstrittenen Projekten, bei Anwohnern auf Widerstand. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Die Menschen hier sind sehr interessiert. Die monatlichen Führungen werden sehr gut angenommen, es kommen immer um die 50 Personen. Natürlich ist es aufwändig, den Dialog zu suchen und zu pflegen, aber letztlich haben wir viel Zeit gespart, weil wir die Verfahren zügiger durchführen konnten, als wenn wir den Dialog nicht geführt hätten. Wichtig ist, keine großformatigen Vorträge zu halten, bei denen vorne Wenige reden und hinten Viele schweigen. Wir setzen stattdessen auf Austauschformate, bei denen sich gegenseitig zugehört wird und Fragen direkt gestellt werden. Auch das Qualitätshandbuch hat uns viele Türen geöffnet, weil die Akteure es als Grundlage genommen haben, um ins Gespräch zu kommen.
Der Bürgerdialog funktioniert vorbildlich. Was haben Sie stattdessen als größte Herausforderung erlebt?
Sicher die Phase der Werksstilllegung, als klar war, hier würde sich etwas verändern, was 100 Jahre Bestand hatte. Die Verbundenheit mit dem Gelände, insbesondere derjenigen, die hier gearbeitet hatten, war groß. Die Herausforderung war, durch eine positive Planung die gedrückte Stimmung umzudrehen. Wir wollten die Menschen davon überzeugen, mitzumachen, und vermitteln, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, wie es hier zukünftig aussehen soll. Das haben wir geschafft. Dazu hat natürlich auch beigetragen, dass wir den markanten Wasserturm, das alte Kesselhaus oder das Magazin, die Zeugnisse der Industriekultur und Orte der Identifikation, erhalten haben.
Bis 2020 soll die Entwicklung der Neuen Bahnstadt Opladen abgeschlossen sein. Welche Maßnahmen stehen in der Schlussphase an?
Wir wollen bis dahin die öffentliche Infrastruktur, also Straßen, Kanäle, Plätze, Grünanlagen und die Verlagerung des Busbahnhofs fertigstellen. Ich hoffe, dass die geplanten Wohn- und Gewerbegebäude auf der Westseite dann eine genauso große Bauqualität erreichen wie auf der Ostseite. Bei der Entwicklung des Bahnhofsquartiers sind wir natürlich auch von privaten Investoren abhängig. Öffentliche Plätze und Treppen können wir erst dann bauen, wenn die Investoren rechtzeitig fertig werden. Davon abgesehen werden private Akteure aber auch über 2020 hinaus noch weitere Wohnungen, Büros und gewerblich genutzte Gebäude bauen.
Abgesehen davon, dass in der Schlussphase alles klappt wie geplant: Was ist für Sie das Wichtigste, um das Projekt am Ende als erfolgreich bewerten zu können?
Ich freue mich darüber, dass sich die Technische Hochschule in der Neuen Bahnstadt Opladen angesiedelt hat. Davon erwarte ich wertvolle Strukturimpulse für die regionale wirtschaftliche Bedeutung der Stadt. Schließlich wird Leverkusen jetzt erstmalig Hochschulstadt. Für Opladen hoffe ich, dass wir es schaffen, das Zentrum des Stadtteils zu stabilisieren und aufzuwerten. Und wenn wir ein Industriegelände am Ende in ein modernes und nachhaltiges Stadtviertel verwandelt haben, in dem die Menschen besser leben als zuvor, dann bin ich absolut zufrieden.