Interview mit Schriftsteller
Interview mit Oliver Lück: Warum Menschen heute noch Flaschenpost verschicken
Herr Lück, Sie haben ein Buch über Flaschenpost geschrieben. Darin erzählen Sie von Menschen, die Briefe über die Ostsee verschickt und beantwortet haben. Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buch?
Lück: 2008 war ich mit meinem Hund im VW-Bus unterwegs quer durch Europa. In Lettland fuhr ich an einem bunt geschmückten Garten vorbei, der mich sofort in seinen Bann gezogen hat. Ich dachte nur ‚Was ist das denn?‘ und bin sofort auf die Bremse getreten. In dem Garten hingen alle möglichen Gegenstände, die das Meer an den Strand spült, Müllfetzen, Hölzer, Flaschen. Ich habe angehalten und angeklopft. Aufgemacht hat mir Biruta, eine alte Frau. Sie zeigte mir schließlich eine Mappe mit Flaschenpost-Briefen. Es waren knapp 40 insgesamt. Zwar hatte sie die Flaschenposten gefunden, aber weil sie weder Deutsch noch Englisch sprach und keinen Computer besaß, hatte sie keinen der Briefe je beantwortet.
Ich habe mich daran gemacht, Birutas Briefe zu beantworten. Ungefähr die Hälfte der 40 Absender habe ich erreicht. So habe ich immer mehr Menschen kennengelernt, die Flaschenposten verschicken und aufsammeln. Zweieinhalb Jahre habe ich intensiv zu dem Thema recherchiert.
Wo waren Sie überall unterwegs?
In allen Anrainerstaaten der Ostsee. Natürlich kann man auch in anderen Meeren Flaschenpost finden, aber im Vergleich zum Atlantik oder Pazifik ist die Chance in der Ostsee viel größer, weil sie ein Binnenmeer ist. Alles, was man in die Ostsee hineinwirft, kommt irgendwann wieder raus. Die lange Küstenlinie, viele Inseln und versteckte Buchten sind dabei durchaus nützlich.
Wer sind die Briefeschreiber, die Sie durch Ihre Nachforschungen kennengelernt haben?
Zum Beispiel bin ich in Kontakt mit Thomas aus Sassnitz auf Rügen gekommen. Flaschenposten zu schreiben ist sein Hobby. Immer, wenn der Wind günstig steht, schickt er ein bis fünf auf die Reise. Als ich ihn besuchte, hatte er schon 30 Antworten aus sieben Ländern erhalten. Oder Mogens aus Bornholm in Dänemark, ein alter Leuchtturmwärter. Er sammelt alles, was irgendwie einen Wert hat. Seit 1971 hatte er mehr als 200 Flaschenposten gefunden und jede mit einer Postkarte beantwortet.
In unserer heutigen schnelllebigen Zeit, in der Nachrichten per Whatsapp in Echtzeit beantwortet werden, wirkt eine Flaschenpost wie ein Relikt aus früheren Zeiten. Warum schmeißen Menschen heute eine Flaschenpost ins Meer?
Um etwas Verrücktes zu tun, ein Abenteuer zu erleben. Das Ungerichtete einer Flaschenpost bietet einen großen Reiz, gerade weil man nicht weiß, ob, wann und wo sie ankommt.
Was sind das für Momente, in denen eine Flaschenpost auf die Reise geschickt wird?
Momente der Ruhe oder Langeweile. Die erleben viele oft während eines Urlaubs am Meer. Zwar wollen alle immer schneller leben, um Zeit zu sparen, aber wirklich Zeit haben wir nur, wenn wir uns eine Pause gönnen. Insofern stellt eine ziel- und zeitlose Flaschenpost ein großes Mysterium dar.
Sie haben durch Ihre Recherche rund 300 Flaschenpost-Briefe zu Gesicht bekommen. Welche Art von Nachrichten geben Menschen übers Meer an unbekannte Adressaten auf?
Das ist ganz unterschiedlich. Thomas aus Rügen zum Beispiel verfolgt einen wissenschaftlichen Ansatz. Er notiert genau, wann und wo er die Flasche ins Meer geworfen hat und möchte von den Findern den Fundort mit Koordinaten und Adresse sowie den Zeitpunkt wissen. Andere folgen einem therapeutischen Ansatz, indem sie Probleme und Sorgen aufschreiben, symbolisch auf die Reise schicken und damit loslassen.
Welche Flaschenpost-Geschichte hat Sie am meisten berührt?
Eigentlich alle. Besonders beeindruckt hat mich zum Beispiel ein schwedischer Fischer, der auf einer einsamen Schäre lebt und mit seinem Netz schon viele Flaschenposten aus dem Wasser gezogen hat. Er war noch nie in Stockholm und aufs Festland begibt er sich nur, wenn er zum Arzt muss. Den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit kennt er ganz genau. Trotzdem hat er seinen Platz im Leben gefunden und strahlt eine tiefe Zufriedenheit und Gelassenheit aus. Danach sehnen sich doch viele. Ich erinnere mich auch immer wieder an die Flaschenpost eines holländischen Jungen, der einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben hatte. Er wünschte sich zwei Dinge: Star-Wars-Figuren zum Spielen und Weltfrieden. Das sind wohl die größten Dinge, die sich ein Zehnjähriger wünschen kann.
erschienen in den Online-Ausgaben der DuMont-Tageszeitungen