Feature: Einsturz des Kölner Stadt-Archivs

Stadtarchiv in Köln: „Es sieht hier aus wie am 11. September“

Solche Bilder hat es in der Kölner Südstadt zuletzt im Krieg gegeben. Zwei alte, mehrgeschossige Wohnhäuser sind am Dienstagnachmittag zur Hälfte in sich zusammengesackt, vom Gebäude des Historischen Stadtarchivs ist nur noch ein großer Trümmerberg übrig geblieben.

Auf der Severinstraße hat sich ein großer Krater gebildet, von dem sich sternförmige Risse über Bürgersteige und Straße verbreiten. Die in der Nähe geparkten Autos sind von einer dichten Schicht Schutt bedeckt. Bis in den Schacht der in unmittelbarer Nähe befindlichen U-Bahn-Baustelle sind Trümmerteile gestürzt.

Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs hatte sich am Dienstagmittag mit einem leichten Vibrieren und einem unerklärlichen Geräusch in dem mehrgeschossigen Haus angekündigt. Die Nutzer des Gebäudes und die städtischen Angestellten machen das einzig Richtige: Sie rennen sofort nach draußen. Zum gleichen Zeitpunkt wundert sich Jürgen Arizay del Pino in seinem etwa 500 Meter entfernten Apartement darüber, dass die Bierflasche auf seinem Tisch vibriert. Als er aus seinem Fenster schaut, ist das Historische Archiv verschwunden: An seiner Stelle ist eine Wolke aus Schutt und Staub.

Als um 13.58 Uhr der Notruf bei der Kölner Feuerwehr eintrifft, wird sofort Großalarm ausgelöst. Angesichts der verheerenden Zerstörung rechnen die Einsatzkräfte mit vielen Opfern. Zwei Stunden später zieht Feuerwehrdirektor Stephan Neuhoff eine erste Bilanz: Neun Menschen gelten zunächst als vermisst. Nach ihnen wird mithilfe von Spürhunden gesucht. Die Zahl der Vermissten wird am Abend auf drei Menschen reduziert. Sechs hatten sich zwischenzeitlich gemeldet. Die Einsturzstelle in der Südstadt ist weiträumig abgeriegelt.

„Wie am 11. September“, entfährt es der Kioskbesitzerin Paraskevi Oustampasiadi, die alles aus nächster Nähe miterlebt hat. Ihr erster Gedanke: „Nichts wie weg hier.“ Augenzeugen fühlen sich an ein Erdbeben erinnert. Ein anderer Passant erzählt: „Hinter mir ist plötzlich alles zusammengebrochen, und dann kam diese riesige Staubwolke hinter mir her.“

An der Einsatzstelle spricht einer der Feuerwehrleute dennoch von einem „Wunder“. Vor einer guten Woche kam hier noch der Rosenmontagszug vorbei. Und jetzt auf 70 Metern Länge nur noch Schutt. Wenn das Archiv zu diesem Zeitpunkt eingestürzt wäre, hätte es Dutzende Tote geben können.

Der Projektleiter der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) bezeichnete einen Zusammenhang zwischen dem Bau der umstrittenen Nord-Süd-Stadtbahn und dem Einsturz vorerst als Spekulation. Vor etwa zwei Jahren war die mächtige Tunnelröhre unter dem Archiv getrieben worden, damals hatten sich die Mauern des Gebäudes geringfügig verschoben, auch hatten sich Risse gebildet. Unbedenklich, wie Statiker damals meinten. In den Tagen vor dem Unfall seien an der Baustelle lediglich unbedeutende Schachtarbeiten an der U-Bahn-Trasse vorgenommen worden.

Anwohner wie Jürgen Arizay del Pino haben sich am Dienstag längst ihren Reim auf die Ereignisse gemacht. „Das musste ja so kommen“, betont er und erinnert sich, wie die KVB in der heißen Phase der Bauarbeiten regelmäßig die benachbarten Gebäude auf Risse untersuchen ließ. Unvergessen ist auch das Schicksal der Kirche St. Johann Baptist, unweit von der jetzigen Einsturzstelle. Vor viereinhalb Jahren geriet der Kirchturm wegen der U-Bahn-Arbeiten in starke Schieflage und musste aufwendig abgestützt werden.

Welche Auswirkungen der Einsturz vom Dienstag haben wird, ist noch unklar. Experten befürchten einen erheblichen Grundwassereinbruch in die U-Bahn-Baustelle. Inzwischen sind Aussagen bekannt geworden, dass die Gebäudeschäden am Stadtarchiv der Stadtverwaltung bekannt gewesen sind. Die Frage nach der juristischen und politischen Verantwortung für einen der spektakulärsten Unglücksfälle der jüngeren Kölner Stadtgeschichte wird wohl erst in Wochen oder Monaten beantwortet werden.

von Markus Peters, Petra Albers und Katharina Klöber

erschienen bei der dpa